Arno Schmidt – Wanderer zwischen den Grenzen
Arno Schmidt ist vielleicht der bedeutendste deutschsprachige Schriftsteller in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Romane und Erzählungen zeichnen sich durch eine ebenso überbordende wie innovative Sprachkraft aus. Dabei war Schmidt durchaus einer literarischen Tradition verpflichtet. Dafür sprechen nicht nur seine großen Vorbilder. Schmidt bewunderte den irischen Literaturerneuerer James Joyce genauso, wie er unermüdlich auf die Werke der Romantiker Friedrich de la Motte Fouqué und Edgar Allan Poe sowie der Romanepen-Schöpfer James Fenimore Cooper und Charles Dickens verwies.
Slipstream-Literatur
Vor allem war Schmidt nicht abgeneigt gegenüber der Genre-Literatur. In der Schublade der Science-Fiction finden sich mehrere Erzählungen und Romane seines umfangreichen Werks. Diese Mischung aus Modernität und Aufgeschlossenheit gegenüber sprachlicher Innovation auf der einen Seite und die Nähe zur fantastischen literarischen auf der anderen berechtigen dazu, Arno Schmidt als wichtigen Vertreter der sogenannten Slipstream-Literatur anzusehen. Ja, mit Werken wie der Erzählung Schwarze Spiegel und dem Kurzroman Gelehrtenrepublik, kann diese Ausnahmeerscheinung der deutschsprachigen Literatur durchaus mit Literaten wie Edgar Allan Poe, J.G. Ballard und Thomas Pynchon verglichen werden.
Düsterer Blick in die Zukunft
Schmidt gehört zu den großen Misanthropen unter den Intellektuellen seines Jahrhunderts. Seine Gesellschaftsanalysen waren vernichtend, weshalb auch sein Blick in die Zukunft düster war. Dass der Mensch sich einmal selbst und den Planeten, auf dem er lebt, an den Rand der Vernichtung bringen wird, war für Schmidt ausgemachte Sache. Dafür sprechen zumindest seine fantastischen Erzählungen und Romane, die in naher Zukunft angesiedelt sind und postapokalyptische Szenerien entwerfen. Massenvernichtungswaffen im Allgemeinen und die Atombombe im Besonderen sind die Mittel, mit dem die unvernünftige Spezies Mensch die Welt eines Tages auslöschen wird.
Schwarze Spiegel in einer dunklen Welt
In der 1951 veröffentlichten Erzählung Schwarze Spiegel ist die Handlung etwa fünf Jahre nach einem Dritten Weltkrieg angesiedelt. Die Menschheit scheint ausradiert. Aus Sicht eines namenlosen männlichen Überlebenden irgendwo im Norden Deutschlands zeichnet Schmidt eine durch und durch zerstörte Landschaft. Der Held, der zugleich der Erzähler ist, hat seit Jahren keinen Menschen mehr gesehen. Mit einem Fahrrad bewegt er sich durch die Apokalypse, auf der Suche nach Nahrung und sonstigen Dingen, die er zum Überleben braucht – zum Beispiel Nike Schuhe, die ihm in der kalten Welt etwas Wärme spenden könnten. Irgendwann trifft er doch auf einen Überlebenden. Es handelt sich um eine Frau, doch eine Liebesgeschichte gönnt Schmidt weder dem Helden noch dem Leser.
Zwischen Zentauren und fliegenden Köpfen
Einen postapokalyptischen Zustand beschreibt Schmidt auch in Die Gelehrtenrepublik, einem seiner bedeutendsten Werke. Der Kurzroman erschien 1957. Seine Handlung ist im Jahr 2008 angesiedelt. Es ist die Zeit nach einem Atomkrieg. Europa ist zerstört, die atomare Strahlung hat zu neuen Lebensformen geführt. In einem sogenannten „Hominidenstreifen“ existieren mutierte Wesen wie Zentauren, Schmetterlings- und Spinnenwesen. Diese Welt durchreist ein amerikanischer Journalist mit dem Ziel, auf eine mobile Insel zu gelangen. Hier hat die Elite der Gesellschaft eine Art Idealstaat aufgebaut. Die klügsten Köpfe der Menschheit leben hier. Aufgeteilt ist diese Welt in zwei Zonen, eine westlich-amerikanisch geprägte und eine östlich-sowjetische. Auch damit beweist Schmidt mit seinen im Kalten Krieg entstandenen Meisterwerk, dass Science-Fiction bei aller Fantastik in der Gegenwart wurzelt.